Foto Konkordiaplatz

Weit ab der Zivilisation und doch nicht einsam – die Aletschgletscher-Wanderung

by Moritz

­Wer genug hat vom Strassenlärm, von der Lichtverschmutzung oder sonstigen menschlicher Auswüchse, der hat es schwer in der Schweiz. Selten ist man aber so abgelegen wie auf dem Aletschgletscher und doch ist man nicht alleine. Zumindest ein Bergführer sollte dabei sein.

Jungfraujoch – Konkordiahütte

4 h, 8,5 km, 150 m ↑, 750 m ↓

Konkordiahütte – Märjelensee – Fiescheralp

6 h, 12,5 km, 150 m ↑, 650 m ↓

Erster Wandertag: Jungfraujoch → Konkordiahütte

Wir dachten, wir sind clever und sind am Vortag auf die Kleine Scheidegg, um sich ein bisschen anzuklimatisieren und um sich ein paar Stunden mehr Schlaf zu gönnen. Guter Plan, wenn nicht eine Mitreisende (Name dem Autor bekannt) das Gefühl gehabt hätte, sich von der schlechten Stadtluft durch Husten befreien zu müssen. Massenlager, für ä tüüfe, gsunde Schlaf.

Mit dem Touristenexpress ging es am Morgen aufs Jungraufjoch. Unsere Bergführerin führte uns gekonnt durch das Labyrinth und zeigte uns die letzte Möglichkeit, um ums Eck zu gehen. Die Sache mit dem Eck sollte man sich zu Herzen nehmen. Angeseilt in einer Reihe auf dem flachen Gletscher ist es nicht mehr ganz so entspannend.

Es gab eine kurze Instruktion, ein Gummitier (das essbare, nicht das aufblasbare) und dann ging es angeseilt Richtung Konkordiahütte. Etwas unspektakulär ist der Start. Man wandert über Schnee, keine Abgründe, keine Spalten, keine Steigeisen, nur die eindrückliche Bergwelt.

Das änderte sich bald. Je näher man der Konkordiahütte kommt, umso mehr zeigt sich der Gletscher. Es geht ja runter, da wird der Schnee immer weniger. Das bekamen dann auch meine Mitreisende zu spüren. Eine nahm ein verlängertes Fussbad, die andere wollte die Tiefe einer Gletscherspalte mit dem Bein ertasten (schon vom Anseilen und dem Nutzen eines Bergführers geschrieben?). War natürlich alles halb so wild. Dass man sich definitiv nicht im Wandergelände befand, war spätestens dann aber auch mir klar.

Klimawandel? Natürlich. Also eher menschlich… Ein Seeli auf dem Gletscher und ein reissender Bach versperrten uns den direkten Weg, so dass wir einen Umweg gehen mussten. Das eiskalte, kristallklare, tosende Wasser löste gemischte Gefühle aus. Gerne hätte ich eine Hand reingehalten oder sogar einen der kleinen Zehen. Allerdings gibt es schon einen Ötzi und dasselbe einfach positiv statt negativ («fun with flags»), war es dann doch nicht wert.

150 Meter geht es am Schluss vom Gletscher zur Hütte hoch. Und nein, nicht gemütlich einem Wanderweg entlang, sondern schön die Treppe hoch. Auf über 2 700 m ü. M. gibt das einem den Rest. Welcher Depp baut schon eine Hütte so hoch über dem Gletscher? Der Klimawandel. 1877 war die Hütte noch am Gletscherrand.

Der Blick über den Terrassenrand ist gigantisch. Mit einem Bier in der Hand lässt es sich gemütlich in der Sonne sitzen und man ist endlich angekommen. Im Niemandsland und doch nicht einsam.

Zweiter Wandertag: Konkordiahütte → Fiescheralp

«Man geht nicht schlafen, sondern ruht sich aus.», Zitat eines Bergführers. Würde man ja gerne. Aber Höhenluft, andauerndes Kommen und Gehen und die Mordlust hielten mich wach. Wer hätte gedacht, dass Stadtluft so hartnäckig ist? Eh bien, 4 Uhr 30 Frühstück, 5 Uhr 15 Abmarsch. Kennt ihr die hervorragende Kombination von nassen, kalten Socken und nassen, kalten Wanderschuhen? Ich schon.

Am Gletscher angekommen, es gibt doch einen gemütlicheren Weg als die Treppe, wurden Steigeisen montiert und wir wurden wieder angeseilt. Noch im Morgengrauen stöckelten wir über das blanke Eis zur Mitte des Gletschers.

Selber schuld, wenn man sich den ganzen Abend über das Eisbein und den Fussbadfan (nicht Fussballfan) lustig machte. Zu meiner Verteidigung: ich war müde, es war in aller Herrgottsfrühe und ich kannte Steigeisen nur aus Filmen. Steigeisen haben Zacken, auch auf der Seite. Kurz, der rechte Zacken des linken Steigeisens bohrte sich mit Schwung in die Sohle meines rechten Wanderschuhs und ich fiel mit der ganzen gestrigen Schadenfreude auf die Nase. «Karma is a bitch.»

Jetzt, wo alle wieder wach waren, kamen dann auch die ersten Sonnenstrahlen und der Gletscher zeigte sich nun von der wilderen Seite. Das Auf und Ab wurde heftiger und die Gletscherspalten immer grösser. Vielleicht haben wir erst da erkannt, wie gigantisch dieser Gletscher ist. Dass er gross ist, das merkt man bald einmal. Spätestens auf dem Konkordiaplatz. Aber als wir den Gletscher Richtung Märjelensee verliessen und die Steigeisen wieder im Rucksack verstauten und man die vereinzelten Wandergruppen in diesen metertiefen Wellentälern sah, konnten wir nochmals staunen.

Der Rest des Wegs zieht sich dann noch, ist aber nicht mehr anspruchsvoll. Eine wohltuende Abkürzung (vielleicht auch der normale Weg) ist der Entlastungsstollen von der Märjela ins Fieschertal. Wer übers Geldverlochen sprechen will. Der Entlastungsstollen entlastete genau einmal, 1896. Die Zivilisation hatte uns in der Fiescheralp wieder.

Merci. Ihr wüsset scho, wer i meine.

Tipp: Unbedingt machen. Es gibt dutzende Anbieter und die Wanderung gehört zum Standardrepetoire. Man kann sich auch einer Gruppe anschliessen und muss als Einzelperson oder Kleingruppe keine eigene Tour buchen.

Vom Aletschgletscher noch nicht genug?